Dienstag, 25. September 2012

Gegenregen

Der Montag beginnt ähnlich wie in Deutschland, nur schlimmer.
Wir werden liebevoll von Kimberly und Charlotte geweckt, Liz scheint aber schon länger wach zu sein als ich, denn ich schnappe schon etwas auf von "dachten ihr müsstet später kommen", und "hätten euch sonst früher geweckt", auf. Auch die Uhrzeit wird erwähnt: 7:38 Uhr. Jetzt, meine lieben Leser, bin ich richtig wach! Es ist 7:38, wir mussten bereits um 7:35 an der Haltestelle sein. Mein kluger Holmes-Verstand schlussfolgert, dass es nur eine plausible Erklärung für diesen Umstand gibt: WIR HABEN VERSCHLAFEN! Plötzlich tauchen Bilder von uns in meinen Kopf auf, wie wir uns angrinsen, als Liz den Wecker ausmacht und eine Stimme in meinem Kopf kommentiert diese Szene mit "Ihr hattet noch 5 Minuten".
Ich ärgere mich über mich selbst, aber besonders über die Tatsache, dass es unseren Gasteltern nicht aufgefallen wäre und ist, bin aber mittlerweile bereits in Klamotten und auf dem Weg in die Küche, um das Lunchpaket zu holen. Ich packe es nicht in den Rucksack und schließe meine Jacke nur provisorisch, dann rennen Liz und ich aus der Tür. Wir werden vom Guss unseres Lebens empfangen und rennen bereits auf den ersten 100 Metern mit nassen Hosen an diversen tiefen Pfützen vorbei. Liz meint, es riecht nach Meer, ich sage ihr, dass sie sich nicht wundern soll, schließlich entstehe ja gerade ein neues.
Wir kommen keuchend vor dem Bus zum Stehen, gnadenvoller Weise hat Manni auf uns gewartet und wir sind nur 7 Minuten zu spät. Unsere Lehrerinnen und Manni scheinen nicht aufgebracht, wir lassen ihnen aber auch keine Zeit, sauer zu werden, denn wir entschuldigen uns überschwänglich und stapfen dann mit leisen Geräuschen zu unseren Plätzen. Ich flüstere Bruno zu:"Wir hatten Gegenregen."
Jule und Nisi steigen ein und beschweren sich, dass sie 20 Minuten warten mussten. Wir gestehen die Schuld an 7 davon ein, werden böse angeschaut und dann unterhalten wir uns cheerfully über dies und das.
Wir haben keinen Guide und müssen uns deshalb mit Manni zufrieden geben, was uns allen gehörig auf den Geist geht. Er ist laut, und wird nicht dafür bezahlt uns Dinge über diverse Kirchen zu erzählen, außerdem ist seine englische Aussprache so schlecht, dass mein Gehirn bei jedem Städtenamen schockgefrostet wird.
Als wir dann nach 1.5 Stunden gnadenvoll nach draußen entlassen werden, befinden wir uns an der Küste von Portland. Wir haben 10 Minuten an einem windigen Abhang, wovon 5 für die Pinkelpause meiner drei Mädels draufgeht. Als wir dann endlich aus dem windgeschützten Häuschen treten, werden wir fast weggeblasen. Es ist so windig, dass man sich teilweise in den Wind legen kann und wir erklimmen eine Anhöhe, die zum Rand der Klippe führt. Ein stetiger Sprühregen der Monsterwellen lässt meine Lippen salzig schmecken und das Leben ist schön, auch wenn ich momentan nichts höre, wegen des Windes. Wir machen einige peinliche Gruppen-Hopsefotos, und dann müssen wir auch schon wieder in den Bus.
Ich sehe, gelinde gesagt, richtig scheiße aus, aus zwei Gründen: erstens hatte ich heute morgen keine Zeit mir irgendwann die Haare zu kämmen und zweitens hat der Wind mir gerade jeglichen Anflug von Ordnung aus den Haaren gepustet und so sitze ich jetzt Mop-like auf meinem Sitz. Als Fritzi (ein Mädchen zwei Reihen schräg vor uns) mir dann eine Bürste anbietet, nehme ich sie dankbar an und kämpfe mich den Rest der Fahrt durch den Urwald auf meinem Kopf.
Der nächste Halt ist an einer weiteren Klippe, diesmal aber ohne Orkan, es entsteht ein Gruppenfoto mit den olympischen Ringen und dann geht es zacki zacki auch schon weiter. Schließlich ist das hier keine Sightseeingtour! Wir steigen noch einmal am größten Naturdeich in ganz England aus, er besteht aus großen Kieselsteinen und endet direkt im Wasser, doch so nah dürfen natürlich nicht ran. Wir singen eine Ründe 'I believe I can fly' gegen den Wind und schon scheucht uns Tom (der Guide des anderen Busses) wieder in den unseren. Unser nächstes Ziel heißt Winchester und ist die erste heutige Stadt, die wir uns ansehen werden. Nach einiger Fahrt kommen wir dann doch dort an, und ich bin ein bisschen enttäuscht. Uns wurde gesagt, hier wäre der beste Ort in den ganzen 2 Wochen um gute Fish and Chips zu essen, da hatte ich doch einen hübschen englischen Ort am Meer mit kleinen Cottages und freundlichen Menschen vor Augen. Bekommen tun wir einen ein bisschen verkommenen, leergefegten Ort, durch den der Wind pfeift. Man muss allerdings zur Verteidigung sagen, dass es bereits Mitte September, also ganz bestimmt keine Touristensaison, mehr ist.
Wir steigen also aus dem Bus und sammeln uns zwecks Führung zum Fish and Chips Laden vor einem der anderen Busse. Die, die keine Lust auf britisches fast Food haben, gehen ihrer Wege, und als uns gesagt wird, dass wir ganze 2 Stunden in diesem Ort haben, beschließen wir, mit dem eigentlichen Essen auch noch zu warten, bis unsere Schule den Laden wieder geräumt hat, wie folgen aber trotzdem der Gruppe, einfach um zu sehen, wo wir dann später hin müssen. Als Tom vor einem nobel aussehendem Laden namens "Fish'n'Fritz" zum stehen kommt, dreht unser Quartett wieder um, wir haben es ja jetzt gesehen, und wir machen uns auf den Weg zu Fußgängerzone, welche eine Querstraße von hier ist. Wir setzen uns in ein Café, Liz bestellt sich eine heiße Schokolade (der Drang scheint sich von gestern angestaut zu haben) und Nisi kauft sich einen cuppa und ein Baconsandwich. Ich erwähnte ja bereits Nisis Esstempo, weshalb ich denke, sie können sich nur zu gut vorstellen, dass wir eine geschlagene Stunde dort sitzen, bevor sie dann den letzten Bissen genüsslich verzehrt hat. Es ist ein gemütliches kleines Café mit großer Fensterfront und all Day Breakfast, was mir sowieso schon sympathisch erschien, aber eine Stunde hätte es echt nicht sein müssen. Ein gutes hat ihre genießerische Art allerdings, denn so sitzen wir immerhin die Hälfte der Zeit im windstillen und können uns gepflegt unterhalten.
Es stellt sich heraus, dass ich die einzige bin, die hier Fish and Chips essen will, Nisi ist voll, beziehungsweise hat gerade etwas gegessen, denn bei ihr bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt jemals wirklich satt sein kann, Liz liegt der Schreck vom ersten Mal Fish and Chips essen und Jule ist übel von der Busfahrt. Also gehen wir fix mein Essen kaufen, natürlich als Takeaway, und finden uns erneut auf der Fußgängerzone an einem niedlichen Souvenirshop wieder. Ich finde etwas für meine Mami und und Liz einen weiteren Anhänger für ihre Kette, wobei ich während all dieser Zeit den Laden in den Duft von frittiertem Fisch hülle.
Die Fußgängerzone hat ausgedehnt doch die Zeit scheint sich dafür verdoppelt zu haben, und wir sind plötzlich ganz normale Teenager mit zu viel Freizeit.
Wir laufen einfach wieder an den Strand, fest entschlossen, dort auf den Bus zu warten, doch dank des Windes wird der kleine Rest meines Essens sandig und unsere Augen auch. Wir rücken in den Windschatten einer Strandbude und sitzen dort, völlig unbequem aber damit beschäftigt nicht eingesandet zu werden, eine ganze Weile herum.
Als es dann noch 15 Minuten bis zur Departure sind, trotten wir langsam an die Stelle zurück an die Manni uns damals absetzte. Jaja, damals vor 2 Stunden, als wir noch jung und unbedarft waren...
Als er dann endlich kommt, bin ich genauso froh wieder da drin zu sein, wie vorhin da raus zu sein. Wir fahren als noch ein Stück und Jule ist jetzt leider so schlecht, dass sie zur Wanderung an der Steilküste nicht mitkommt, sondern im Bus bleibt. Es ist ein mühsamer Abstieg ins Tal hinein, aber die Aussicht entschädigt für nahezu alles. Wir haben natürlich viel Spaß und lachen, aber als wir dann letztendlich im Tal ankommen, merken wir, wie ein solcher Abstiegswinkel auf die Knie geht und müssen und erstmal wie alte Damen auf den nächstbesten Stein fallen lassen. Wir sind halt auch nicht mehr die jüngsten!
Umso erleichterter sind wir dann, als wir den Bus sehen, weil er gekommen ist, um uns abzuholen. Kein Hochwandern mehr...Schade eigentlich.
Jule hat sich wohl übergeben, und ich bin froh, dass ich davon durch ihre Erzählungen erfahre und nicht live dabei war. Ich hab sie lieb, aber das sieht man trotzdem nicht gerne. Wir bedauern sie also alle einmal kräftig und dann geht es wieder ab nach Hause.
Cut auf die Szene danach. Wir laufen glücklich unsere Straße entlang, denn heute gibt es für und keine Schule mehr. Es steht kein Auto in der Auffahrt und so setzen wir uns wie gewohnt in selbige und harren der Suttons die da kommen. Es vergehen 10 Minuten und wir beginnen mit ich sehe was, was du nicht siehst. Es vergehen 20 Minuten und Kimberly und Charlotte kommen. Es vergehen 30 Minuten und mittlerweile bin ich gespannt, ob sie überhaupt noch am Leben sind. Es vergehen 40 Minuten und mittlerweile bin ich mir sicher, falls sie noch am Leben sind, werde ich das ändern. Gerade als ich mir einen besonders ablenkenden Gedanken gesucht habe, biegt er in die Einfahrt ein und steigt aus dem Wagen. "Hi." sagt er und schließt uns die Tür auf. Nur ein Hi?! Kein 'Oh mein Gott, es tut mir ja so leid', ein 'musstet ihr lange warten?' oder wenigstens ein 'Na dann kommt mal mit rein.' Nur ein verfluchtes Hi! Ich starre seinen Rücken an, auf dass er dort schwere Verbrennungen erleidet.
Es gibt Fisch überbacken mit Kartoffelbrei und dazu Erbsen, was ich mit großen Augen begucke, denn wir hatten ja kein Frühstück. Als Kimberly dann auch noch das Gesicht verzieht und uns ihren Fisch anbietet, strahlen Liz und ich förmlich. Ihre Portion wird also schwesterlich geteilt und dann essen wir in Seelenruhe alles auf.
Daren bekommt von mir heute kein 'good Night!' denn Ich wünsche ihm einfach nicht, dass er eine gute Nacht hat. Ich Wünsche ihm Bettwanzen, und bevor ich ihm das sage, schweige ich lieber ganz.
Nun liegen wir hier und Liz pennt lautstark neben mir, während ich die letzten Zeilen schreibe.

Liebe Grüße an alle Daheimgebliebenen! Ich hoffe Berlin steht noch einigermaßen.
Specialgruß: Chenoa! Ich Drücke dich ganz doll und hoffe, dein zweiter Wackelzahn ist auch schon bei der Zahnfee im Regal! Ich hab dich lieb und vermisse dich, deine Janni *Umarmung*

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