Sonntag, 16. September 2012

Noch ein bisschen mehr Final

Hier also Meldung vor Ort. Es ist 19:55 Ortszeit, doch diese Zeit ist bereits im Bus irrelevant, denn hier laufen die Uhren schon nach englischer Zeit, sprich eine Stunde früher. Macht aber nichts, wir müssen uns schließlich sowieso dran gewöhnen.
Nach dem letzten Check unserer Liste waren wir uns dann doch sicher, dass wir nur das unwichtige vergessen haben, doch noch ist mir nichts aufgefallen, was fehlen könnte...ich nehme das als gutes Zeichen.
So versichert traten wir, Mum und ich, das Kind hatten wir vorher mit zugehörigem Papa aufs Taschenlampenkonzert geschickt, also aus der Tür. Sie mit Aussicht auf zwei Wochen ohne Mittelkind und ich in Erwartung auf 22 Stunden Busfahrt und zwei Wochen aufgedrehte Mädels und England.
Eigentlich hieß es in der e-Mail zwar " Treffzeit 17:30; Abfahrt 18:00" doch daran hielt man sich nur teilweise: Familie Lange plant großzügig, und das Ergebnis ist eine Ankuftzeit 17:00 Uhr. Das störte uns, beziehungsweise mich aber nur herzlich wenig, denn kurz darauf schlugen auch Jule und Vater auf. Unsere Contenance war dahin, soweit wir sie heute überhaupt bewahrt hatten. Wir quietschen und hüpften was das Zeug hielt und als dann auch Nisi und Eltern eintrafen sicherten wir uns Plätze direkt gegenüber vom mittleren Notausgang, immer mit den Hintergedanken an das angedrohte Vomatorium in das Lisa den Bus verwandeln könnte.
Selbige traf kurz darauf auch mit Eltern und Hund im Schlepp auf uns warf ihr exorbitant großes Handgepäck auf den ihr zugewiesenen Platz ( neben mir also).
Wo ist denn die Mami?! Ach, da steht sie! Spielt schön mit den anderen Eltern! Denn während unseren wilden Begrüßungen und den Umarmungen für die daheimgebliebene Lulu war sie auf der Strecke geblieben und so verbrachte ich die letzten Minuten mit ihr in der großen Elternrunde. Als der Busfahrer mit der Hupe das Signal zum Einsteigen gab, wurden noch einmal letzte Umarmungen und Küsse ausgetauscht und ich stieg mit einem lachenden und einem weinenden Auge in den Bus, bereit für das Abenteuer. Denkste! Nix is! Denn die Uhr sagte 17:45 Uhr und Busse fahren ja bekanntlich erst ab 18:00 Uhr, also saßen wir, oder platzierten uns noch, während die Eltern draußen mit Taschentüchern winkten und einer nach dem anderen in Tränen ausbrachen. Es folgten die Sicherheitshinweise. Es ist witzlos, wenn die Gasmasken und Schwimmwesten fehlen und auch die Show blieb aus, dafür bekamen wir gesagt, wie man Scheiben richtig einschlägt oder wieso man das überhaupt machen sollte (ein kleinwenig pädagogisch wertlos, wie ich finde).
Immer noch draußen winkend wurden die Eltern langsam ungeduldig und als der Motor um 18:00 Uhr angelassen wurde, schöpfte man neue Hoffnung. Nach einigen Minuten ging es dann auch los und wir wurden von den Eltern mit großen Gesten in die Freiheit entlassen.
Es ist jetzt 21:25 Ortszeit und wir sind nun wieder im Bus nah der ersten Pause an einer Raststätte in der Nähe von ja...keine Ahnung. Da man dort unverschämte 70 Cent für den Gang der Könige verlangte, verhielt ich mich eher Stallbubenhaft und verkniff es mir. Wer bin ich denn, dass ich meine Ersparnisse für Pipi ausgebe...
Es werden noch zwei Pausen in Deutschland gemacht, wovon eine hinter Hannover abgehalten wird. Die nächste Pause ist in Belgien, die Niederlande durften wir verschlafen, doch im Land der Pralinen werden wir unsanft geweckt, ich weigere mich allerdings strickt auszusteigen, denn es riecht nach Erbrochenem. Dieser Geruch füllt leider Gottes langsam den Bus, was die Pause noch unangenehmer macht. Die zweite Pause in Belgien ist erträglich, bis auf die unhygienischen Toiletten die ich gezwungen bin zu nutzen. Ich meine, unser lieber Busfahrer Manni, ein echter Ostfriese übrigens, hatte uns vorgewarnt, dass wir keinen deutschen Standart erwarten sollten, aber das?! Bruno ist davon überzeugt, dass sich auf der Brille bereits intelligentes Leben entwickelt habe, ich finde diese Theorie nicht allzu abwegig...
Auch zum tanken kamen wir noch, aber erst in Calais, einige stiegen aus, um ein letztes Mal Pipi auf dem Festland zu machen, Liz und ich bleiben allerdings sitzen, schließlich sind wir noch im Halbschlaf, so etwas sollte man nicht unterschätzen.
Wir schlafen vollends ein und werden erst wieder wach, als wir zur Zollkontrolle am Hafen aussteigen müssen. Die Warteschlange ähnelt sehr der in Disneyland, nur nicht ganz so...lustig. Die ersten englischen Worte, die wir nach länger Zeit zu hören bekommen sind "Next please!" ich schaudere, ich war diesen Wohlklang nich mehr gewohnt. Seelig trete ich an den Schalter vor und überreiche der Kontrolldame grinsend den Ausweis. Sie schaut nicht, ob ich das wirklich bin, sondern jagt nur den Ausweis durch eine Maschine und ich bin ein bisschen enttäuscht, ich wollte mein ernstes Gesicht zur Schau stellen, doch mit einem "Here you are." ist die Sache abgeschlossen. Da wir die Fähre verpasst haben, dürfen wir uns auf dem Parkplatz noch ein wenig die Beine vertreten.
Die Tage verschwimmen, denn als wir auf die Fähre steigen, ist es bereits 9:00 Uhr am Sonntag. Nach großzügiger Wartezeit fährt sie dann auch ab, und wir schippern auf dem hellblauen Wasser des Atlantiks durch den Ärmelkanal. Die Scheiben sind beschlagen und das Fensterkreuz rostet, und doch ist es ein wunderbares Gefühl. Im Bad schiebe ich mich mit einem bewusst gewählten "Excuse me!" an einer Gruppe betagter Französinnen vorbei und wir gehen auf das Außendeck. Es windet unglaublich stark, aber wir machen trotzdem die obligatorischen Fotos und begucken die mittlerweile zwei Länder in unserem Sichtfeld.
Die Fährtahrt ist recht unspektakulär und nach einer und einer halben Stunde bereits zu Ende. Wir steigen also wieder in unseren Bus und fahren von Bord auf englischen Boden. Anders als nach dem Flug habe ich hier nicht mal die Möglichkeit, den Boden zu Küssen, und beschränke deshalb auf einen minutenlangen Grinskrampf.
Es ist jetzt also ungefähr 10:30 Uhr und uns stehen noch lustige zwei einhalb Stunden bevor. Irgendjemand hat die schlaue Idee Star Wars III einzulegen und ich entscheide mich, wie auch schon beim spannenden Politikfilm, für eine gesunde Mütze Schlaf. Nach einer knappen Stunde wache ich auf. Wir machen eine Pause, schon wieder. Diese wird läuft aber besser als alle anderen Pausen davor, denn dies ist ein britische Pause und alles ist sauber und irgendwie vornehm. Der Busfahrer lässt uns dann mit ein paar Minuten Verspätung wieder einsteigen und dann geht es weiter. Ich hab mittlerweile herausgefunden, wie ich hier telefoniere, und auch mein Telefon ist damit einverstanden und verbindet mich mit meiner Mum. Ich gebe, wie viele andere auch, Bescheid, dass ich noch lebe und dass sie alle lieb zu mir waren.
Uns wird ein wenig über diese und jene Stadt erzählt und wir bekommen ein weiteres Sicherheitsvideo zum Verhalten in England gezeigt. Nicht mit Fremden mitgehen, nicht überfahren lassen, das übliche eben.

Nach dem letzten Stück Fahrt kommen wir auf dem Parkplatz in der Nähe vom Queens Aye zum stehen. Die Anspannung steigt und der Magen kribbelt nun schon ganz gewaltig, als verkündet wird, dass uns hier die Gasteltern abholen werden. Das Gepäck wird also von den "Starken, jungen Männern" ausgeladen und als wir alle noch drei Instruktionsblätter und Stadtpläne von Christchurch und Bournemouth in der Hand halten tröpfeln auch wir schwachen weiblichen Geschöpfe aus dem Fahrzeug. Jeder bekommt eine ID-Card auf dem er den eigenen Namen und den Namen der Familie sowie Straße und Telefonnummer einträgt, wir werden gebeten, diese Karte immer bei uns zu tragen. Das erinnert mich ein bisschen an Hundemarken bei Soldaten aber ich Teufel an Wänden sprach ich ja bereits.
Die Betreuerin der Mädchen heißt Jeanette und ähnelt einer groß gewachsenen Molly Weasly. Sie ruft nach und nach die Namen der Pärchen auf die dann ihren Familien vorgestellt werden und sich dann mit selbigen auf den Weg nach "Hause" machen. Auf uns lauert eine böse Überraschung und als wir gemeinsam mit zwei Mädchen aus der Parallelklasse als Vierergruppe aufgerufen werden, stürzt die Traumwelt ein. Das hatten wir mich kommen sehen, doch wie meistens war der erste Eindruck dieser Situation auch der schlimmste. Schon während der Fahrt im Auto unseres Gastvaters gewöhnte man sich an die gegenseitige Existenz. Drei Plätze gibt es bekanntlich in einem Pkw, das heißt einer muss vorne sitzen. Wer will? Ich natürlich!! Und weil ich sowieso schon besondere Aufmerksamkeit bekommen hatte, machte ich mich gleich vollends zum Obst, indem ich sehr souverän zur an die rechte Tür stellte, bereit mich in den Sitz fallen zu lassen.
Daren, unser Gastvater, wies mich dann freundlich darauf hin, dass ich gerne fahren könne, dass ich aber dazu noch die Schlüssel bräuchte und grinste. Ich murmelte verlegen etwas von "Oh I'm sorry! Wrong side!" und lief einmal ums Auto herum.
Auf der fünfminütigem Autofahrt werden wir höflicher Weise nach der Reise gefragt und uns wird im Vorbeifahren unsere Bushaltestelle, an der uns der Bus nun jeden Morgen abholen wird, gezeigt.
Wir kommen am Haus an und Laden die Taschen aus. Ich verkneife mir, dass es auf Google Maps sehr ähnlich aussieht, vielleicht wirkt das dann doch ein bisschen fanatisch. Im Haus werden wir seiner Frau Karen vorgestellt und auch seine Tochter Linzi stellt sich und vor. Sie hat zwei Kinder und wohnt nicht mehr hier, ist aber eigentlich immer anwesend. Die Frage ob wir denn hungrig seien verneinen wir, also wird das Essen wird in "a couple of hours" auf dem Tisch stehen.
Als wir unsere Taschen in unsere Zimmer geschleppt haben (Liz und ich in das eine und die anderen beiden ins andere), legen wir uns aufs Bett und lassen die Arme baumeln. Wie lang sind ein paar Stunden und was machen wir so lange?
Nach einigem hin und her entschließen wir uns dafür, einfach nach einem Spaziergang zu fragen, was mehr Mut erfordert als gedacht. Doch nachdem wir das zweite Mal auf dem Absatz kehrt gemacht und wieder ins Zimmer zurückgekehrt sind, schaffen wir es dann doch zu fragen und uns wird sowohl das Ausgehen freigestellt als auch die Zeit zu der wir das Abendessen zu uns nehmen wollen. Wir besprechen das mit unseren Mitbewohnern und legen 19:30 Uhr fest.
Um 16:45 Uhr ist alles geklärt und wir machen uns auf den Weg in die Stadt.
Anfangs war es mehr die Hauptstraße eines Dorfes als irgendetwas anderes. Sie war besonders großzügig bestückt mit Pizzaläden (6 Stück, alle zu Fuß zu erreichen), doch wir entschieden uns für den Lunch-Klassiker ein Cheddar-Ham-Sandwich! Nicht wie von Mutti aber für eine englische Kleinstadt sehr annehmbar. So gesättigt kämpften wir uns dann in das wirkliche Stadtzentrum, was alle Punkte eines Altstadtherzens erfüllt. Wir trafen unsanft auf Nele, Nina und diverse männliche Companions, unsanft einfach deshalb, weil Nina es für nötig erachtete, sich auf den Bürgersteig zu setzen, was Bei mir einen heftigen Fremdschämreflex auslöste.
Doch der Höhepunkt des Tages war die Kirches des Ortes, auch wenn wir sie nur von außen bewundern konnten. Diese Kirche, nach der der Ort übrigens benannt ist, ist die längste Kirche des Landes und besticht mit einer wunderschönen Friedhofs- und Grünanlage. Außerdem ließen sich dort prima graue Eichhörnchen beobachten. Nachdem wir also auf die eine oder andere Art und Weise die Zeit bis zum Essen totgeschlagen hatten, beschlossen wir, es sei Zeit zurück zu gehen. Wir trotteten also gemütlich zum Gasthaus in dem wir auf das Abendessen warteten. Als der Geruch von Truthahn und Erbsen das Haus füllte und die Uhr 19:40 zeigte, ließen wir das Vorhaben auf den "Dinner is ready" Ruf zu warten links liegen und gingen, nach Absprache mit unseren Mitbewohnern (habe herausgefunden, sie heißen Lara und Charlotte alias Charlie) mit dem Gastgeschenk unter dem Arm ins Wohnzimmer. Und dort endete unsere kurze Reise auch schon, denn die schmale Küche war voll. Daren stand noch in vollem Betrieb dort und schaufelte Essen auf unsere Teller. So standen wir in paar Minuten, in peinlicher Stille und taten, als wären wir gefesselt vom Jackie Chan Film der im Wohnzimmer lief. Der Ruf aus der Küche ließ uns aufblicken, und wir reihten uns wie die drei heiligen Könige mit der Schokolade unterm Arm vor ihm auf und segneten das Kindchen...ähh überreichten ihm die Geschenke. Das Essen stand bereits auf dem Tisch und wir setzten uns an die vier Stühle-Moment mal, vier Stühle? Ja. Ein Tisch mit vier Stühlen. Wir waren verwirrt und besonders verwirrt waren wir, als Daren sich dann samt Teller ins Wohnzimmer verdrückte. Weil Karen auch nicht da war aßen wir also alleine in der Küche. Es war sehr lecker und doch bin ich ein klein wenig enttäuscht von dem Desinteresse hier...es hat mehr etwas von Hotel als von Gastfamilie, aber man soll ja seine Erwartungen nicht zu hoch setzten.
Morgen heißt es um 6:45 Uhr Aufstehen, weil wir bereits um 7:40 an der Bushaltestelle sein müssen. Naja, ist ja schließlich kein Urlaub hier.

Gruß an alle Zuhause, besonders an Mami!!
Specialgruß: Lulu! Fühl dich gedrückt von uns allen, wir vermissen dich und wünschten, du wärst hier!

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